Was bedeutete Freiheit damals?
Mit dem Freiheitsbrief sind Saarbrücker und St. Johanner Bürger eigenverantwortliche selbstbestimmende Personen. Ein Wegzug aus der Stadt und das Erwerben des Bürgerrechts in einer anderen Stadt mussten erkauft werden und bedeuteten somit Vermögensverlust. Dies änderte sich erst 1549.
Eine Einschränkung in der Berufswahl bestand lediglich insofern, als der Beruf des Geistlichen der Zustimmung des Stadt- bzw. Landesherrn bedurfte. Hier wollte der Landesherr ein Steuerungsinstrument behalten, da der Beruf des Geistlichen für die Stadt den Verlust eines abgabepflichtigen Haushaltes bedeutete.
Die Bürger waren abgabepflichtig. Die Höhe der Abgaben war verbindlich festgelegt und unterlag eben nicht der Willkür des Landesherrn.
Im Freiheitsbrief werden von den „burgeren“ neben den Hörigen (Leibeigenen) auch die „Edellude“ und „paffen“ abgegrenzt. Für sie galten andere Regeln als für die Bürger, ebenso wie für die gräflichen Beamten und das Gesinde der gräflichen Familie.
Sie besaßen zwar keine Bürgerrechte, gleichwohl aber Vergünstigungen. Ebenfalls keine Bürger waren Personen, die sich nur für eine begrenzte Zeit in der Stadt aufhielten wie etwa Studenten, Handeltreibende, ferner Kawertiner und Lamperter (Kaufleute, denen Wucher unterstellt wird) sowie Juden.
Freiheit bedeutete damals bereits Selbstverwaltung
Saarbrücken und St. Johann hatten ihren eigenen Bann (Grund und Boden) und ihre eigene Vermögensverwaltung. Die männlichen Bürger verfügten über ein aktives und passives Wahlrecht. Es bestanden insgesamt drei Institutionen der Selbstverwaltung, die drei Gerichte, die jährlich von den Bürgern gewählt wurden: das gemeinsame Stadtgericht, das Stadtgericht Saarbrücken und das Stadtgericht St. Johann. Alle drei nahmen gerichtliche und verwaltungsmäßige Aufgaben wahr. Gewaltenteilung existierte seinerzeit nicht (Zeile 4 bis 6 des Freiheitsbriefes).
Saarbrücken und St. Johann hatten das Recht, jeweils ein eigenes Stadtgericht zu bilden. Als drittes Gericht fungierte das Gemeinsame Stadtgericht.
Jedes Jahr an Pfingsten wählten die Bürger von Saarbrücken und St. Johann acht Männer, vier Saarbrücker und vier St. Johanner Bürger. Am Pfingsttage stellten sich die Gewählten dem Grafen vor. Aus ihren Reihen ernannte der Landesherr jeweils den Meier und Heimburger (entspricht in etwa der Funktion eines heutigen Bürgermeisters), was wiederum dessen starke Stellung bezeugt und als Einschränkung der Selbstverwaltung zu interpretieren ist.
Die restlichen sechs Gewählten übernahmen dann jeweils das Schöffenamt. Alle Gewählten leisteten einen Treueeid, nicht nur gegenüber den Bürgern, sondern auch gegenüber dem Landesherrn und seinen Erben (Zeile 6). Eine Wiederwahl war möglich. Die Erneuerung des Eides war jährlich erforderlich. Sollten die Bürger die Wahl versäumen, bestellte der Landesherr die Amtsträger.
Das Gemeinsame Stadtgericht wurde von beiden Stadtgerichten gebildet, die genaue Aufgabenabgrenzung ist aus dem Freiheitsbrief nicht zu klären.
Welche Rechte besaßen Frauen?
Der Freiheitsbrief beschreibt, dass die Freiheit für „man und vrowen“ gilt, er spricht auch von „burgeren und burgerinnen“. Dennoch bleibt in Bezug auf die Geschäftsfähigkeit von Frauen einiges offen, denn die mittelalterliche Welt ist keine Ordnung der Gleichberechtigung.
Wenn ein Ehepaar das Bürgerrecht erwerben wollte, musste auch die Frau nachweisen, dass sie keine Leibeigene war. Das Bürgerrecht von Frauen war jedoch nicht an die Ehe gebunden. Die Verpflichtung des männlichen Bürgers zu Wachdiensten und Heeresfolge erfüllten Bürgerinnen durch Zahlung eines Geldbetrages. Geschäftsfähig wurde die Frau erst als Witwe.
Als solche wurde sie durch den Freiheitsbrief geschützt und mit Rechten ausgestattet. Die Witwe hatte das Recht, die Vormundschaft über ihre Kinder auszuüben. Dem Ehemann war zudem unter Strafe untersagt, ihr Wittum (Mitgift) zu verkaufen. Frauen war im Freiheitsbrief der Ankauf von Haus- und Grundbesitz untersagt worden. Unklar ist, ob Witwen in Bürgerversammlungen, etwa zu den Wahlen des Stadtgerichts, ein Wahlrecht ausüben konnten.
Die Stadtgerichte – wofür waren sie zuständig?
Aus heutiger Perspektive ist der Begriff „Stadtgericht“ missverständlich, denken wir dabei allein an Rechtsprechung. Seinerzeit steht der Begriff jedoch für Institutionen, die sowohl exekutive als auch judikative Gewalt ausübten.
Das Saarbrücker und das St. Johanner Stadtgericht übten jeweils die niedere und freiwillige Gerichtsbarkeit aus, nahmen aber ebenso Verwaltungsaufgaben wahr. Sie verwalteten und verhandelten Vergehen und Streitigkeiten in Gartensachen, den sogenannten Feld- und Waldfrevel, Verstöße gegen Stadt- und Marktordnungen, Beleidigungen, Zänkereien und Schlägereien.
Für Ehebruch, angebliche Zauberei und Hexerei sowie Wucherei war die beim Stift St. Arnual angesiedelte geistliche Gerichtsbarkeit zuständig. (Für das 16. Jahrhundert sind beispielsweise Hexenprozesse überliefert.)
Für die Hochgerichtsbarkeit war indes der Landesherr zuständig, der zur Ausübung einen Schultheißen (Gemeindevorsteher) einsetzte und 21 Schöffen, darunter sechs des Gemeinsamen Stadtgerichts.
Die Arbeitsweise der Stadtgerichte und ihre Organe
Der Meier leitete das Stadtgericht. Er verkündete das von den Schöffen gefällte Urteil, war selbst an der Urteilsfindung jedoch nicht beteiligt. Der Meier konnte durch zwei Schöffen vertreten werden. Der Heimburger lud die Bürger vor Gericht.
Die Gerichte waren auch für die Verwaltung der Stadt zuständig. Meier und Heimburger bildeten den Stadtvorstand, sie waren ausführende und nur eingeschränkt teilweise auch (mit-) beschließende Organe. Bei der Umlage der Gemeindeausgaben beschlossen sie gemeinsam mit drei bis vier hierzu von der Bürgerschaft jedes Mal neu zu wählenden Vertrauensleuten (Biedermänner) die Höhe der Umlage. Diese zu leistende Abgabe, mit der das Gemeinwesen Stadt unterhalten wurde, richtete sich nach dem jeweiligen Vermögen der Bürger.
Die Einbeziehung der Biedermänner zeigt das Bemühen, zu viel Macht des Meiers zu verhindern und in dieser Frage zu einer von der Bürgerschaft akzeptierten Regelung zu finden. Ferner lagen der Einzug aller Strafen und Bußen sowie deren Ablieferung an den Landesherren in der Zuständigkeit des Meiers. Durch den Heimburger erfolgte die Einziehung der sogenannten Rante, einer landesherrlichen Steuer.
Er übergab diese dem Meier, der sie wiederum an den Landesherren abführte. Der Heimburger ist hier dem Meier untergeordnet und ihm allein verantwortlich. Der Meier war Inhaber der Polizei- und militärischen Kommandogewalt, die er zusammen mit dem landesherrlichen Schultheißen wahrnahm. Beide durften Bürger festnehmen und in den Turm werfen. Die letzte Entscheidung der militärischen Gewalt lag beim Schultheißen, dem Beamten des Landesherrn.
Der Meier vermittelte zudem zwischen Bürgerschaft und Landesherr. Meier und Heimburger verwalteten das Inventar und hatten die Schlüsselgewalt über Türme und Tore.
Ist der Freiheitsbrief modern?
Seinerzeit war der Inhalt des Freiheitsbriefes in der Tat ein Fortschritt, jedoch ist er in keiner Weise mit unseren heutigen Freiheitsrechten zu vergleichen. Ein umfassend geschriebenes verbindliches Gesetzeswerk existierte noch nicht.
Was uns heute selbstverständlich erscheint und seinerzeit fortschrittlich war, sind etwa die Passagen des Freiheitsbriefes, die für ein reibungsloses Funktionieren von Gerichten und Verwaltung sorgen sollen. So werden die Amtsträger einerseits geschützt und andererseits wird ihrer denkbaren Bestechlichkeit vorgebeugt.
Wer Schöffen, Meier und Heimburger widersprach oder ihnen Widerstand leistete, wurde bestraft (Zeile 70). Meier, Schöffen und Heimburger war es nicht nur verboten, Geschenke anzunehmen, sondern auch sich ein Geschenk versprechen zu lassen (Zeile 37).
Durch die jährliche Wahl der Ämter sollte Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft entgegengewirkt werden. Meier und Heimburger waren zudem keine reinen Ehrenämter, die Inhaber erhielten eine Entschädigung nach dem jeweiligen Arbeitsanfall (Zeile 14 und 15).
Auch das friedvolle Zusammenleben sollte gefördert werden. Die für Verstöße vorgesehenen Strafen entsprechen nicht unseren heutigen Maßstäben. Der Freiheitsbrief benennt Strafen etwa für Verleumdungen (Zeile 47 bis 50), Köperverletzungen verschiedener Schwere bis hin zur Todesfolge (Zeile 51 bis 59).
Auch die Einhaltung der Regel, dass Brot und Fleisch einheitlich zu wiegen sind, wurde überwacht. Hierzu wurden eigens die Ämter des Brotwiegers und des Fleischschätzers eingeführt. Auch Felder und Gärten wurden geschützt.
Das erste städtische Siegel
Die Verwaltung der Doppelstadt Saarbrücken und St. Johann hatte zunächst einen geringen Organisationsgrad. So führten Saarbrücken und St. Johann lange Zeit auch kein eigenes Siegel. Stattdessen wurde das Siegel des Stifts St. Arnual genutzt.
Erst im März 1463 erhielten die Schöffen beider Städte von Graf Johann III. das Recht, ein Siegel zu führen. Dieses zeigt in der oberen Hälfte den wachsenden Saarbrücker Löwen und in der unteren die St. Johanner Rose mit der Umschrift „sigillum scabinorum opidi Sarabrucken et sancti Johannis“. Das Siegel war für die Umsetzung einer landesherrlichen Verordnung über die Besiegelung von Testamenten durch Meier und Schöffen erforderlich geworden.
Man kann annehmen, dass in jenen Jahren die Verwaltung in den beiden Saarstädten ausgebaut wurde. So ist für St. Johann 1453 erstmals das Amt des Bürgermeistes erwähnt. In Personalunion war er auch erster Schöffe, Funktionen, die in Saarbrücken Meier und Heimburger wahrnahmen. Seit 1450 ist ein Gerichts- und Stadtschreiber belegt, ab dem 16./17. Jahrhundert die Beschäftigung von Hilfspersonal.